„Die Kirche kann viel von Sexarbeiterinnen lernen“, sagt Kristina Marlen, Sexarbeiterin in Berlin – und gläubig. Interessante Headline im Netz! Klingt spannend und für mich so schräg und provozierend, dass ich sie gleich mal um ein Interview bitten muss. Glauben und Prostitution: Wie soll das zusammen gehen? Vor meinem inneren Auge sehe ich Straßenstrich, Drogensucht, Zwangsprostitution. Kurzum: Elend und Gewalt. Gebrochene Persönlichkeiten, die aus Not diesen Job ausüben müssen.

Gebrochen klingt Kristina Marlen am Telefon gar nicht. Eher vergnügt. Sie freut sich, dass ich als Radiopastorin mit ihr ins Gespräch kommen möchte. In ihrem Kolleginnenkreis gab es dafür leicht spöttische Rückmeldungen, dass sie sich mit einer von der Kirche unterhalten möchte, sagt sie. Eine Art Tabubruch, lacht sie. Und das ist es irgendwie natürlich für mich auch. „Mein Großvater war Pastor“, sagt sie. „Meine Lieblingsbibelstelle ist Psalm 23. Und: Sexarbeiterin sein, ist meine Berufung.“

Mein Kopf schwirrt. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich habe richtig viel gelacht am Telefon. So eine lustige und warmherzige Person mit Tiefgang. Aber was hatte ich denn eigentlich gedacht? Mit welcher Vorannahme und Vorurteilen bin ich eigentlich in den Kontakt gegangen? Ich bin die moralisch überlegende Reporterin und sie das schwarze Schaf? Ich schreibe Kristina Marlen: Ich würde gerne noch einmal mit Ihnen sprechen. Sie dürfen mir natürlich auch Fragen stellen. Wollen wir zusammen einen Podcast aufnehmen?   

/ Susanne Richter